Aus aktuellem Anlass beschäftige ich mich heute mit einem Ausdruck, den Friedrich Merz (CDU) auf einer Pressekonferenz am 27.01.2025 verwendet hat. Merz sagte, es gebe „zurzeit in Deutschland 40000 vollziehbar ausreisepflichtige Asylbewerber, die keinen Duldungsanspruch haben.“ Und er fährt damit fort, dass ihm ein Landrat gesagt habe: „In unseren Städten und Gemeinden laufen tickende Zeitbomben herum“. Tickende Zeitbomben. Ein Ausdruck, den übrigens auch Wolfgang Kubicki (FDP) in einem Gespräch mit der FAZ, veröffentlicht als Podcast am 27.1.2025, verwendet hat.
Tickende Zeitbomben. Was heißt das eigentlich? In welchem Kontext wird der Ausdruck hier verwendet? Welche Annahmen, Sichtweisen transportiert Friedrich Merz, wenn er diesen Ausdruck verwendet? Und „transportiert“, „vermittelt“ er eigentlich nur? Macht er den Ausdruck und die damit verbundenen Annahmen und Sichtweisen nicht auch sagbar, normalisiert er sie nicht auch? Wird das, was mit dem Ausdruck verbunden ist, nicht zum Status quo, zu etwas, „was so ist“, wenn jemand wie Friedrich Merz – Vorsitzender der CDU Deutschland, Kanzlerkandidat der CDU/CSU für kommende Bundestagswahl und mit aller Wahrscheinlichkeit der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland – das so sagt? Und zwar nicht im Hinterzimmer, nicht in einem geleakten Chat, sondern bei einer Pressekonferenz?
Das alles beschäftigt mich, denn ob wir es merken oder nicht: Worte haben nicht nur einen Einfluss auf die Wahrnehmung, auf das, was wir für die Realität halten (sollen).
Schauen wir genauer hin
Was ist eine „tickende Zeitbombe“? Zuerst: Eine Bombe ist ein Ding, eine Sache. Kein Mensch. Wer jetzt einwendet, man verwende „Bombe“ doch auch positiv, z.B. „Das Konzert war Bombe!“, und es gebe doch Eisbomben, die ja auch nichts Schlimmes seien, dem entgegne ich: Ja, da stimmt, aber auch das sind Sachen oder zumindest keine Menschen und noch wichtiger: Das ist hier aber offensichtlich nicht gemeint. Hier ist die Bombe gemeint, die durch die eigene Zerstörung, meist Explosion, Schaden anrichtet. Merz setzt Asylbewerber:innen also mit Waffen gleich, die Zerstörung anrichten, die andere Menschen töten können.
Es ist bei genauerer Betrachtung aber noch perfider, denn eine Bombe sieht harmlos aus, sie ist vielleicht aus Metall, sie kann aussehen wie ein Heißluftballon, vielleicht wie eine zu groß geratene Rassel. Eine Bombe ist ein – Achtung – geschlossener Körper, der seine Zerstörungskraft unsichtbar in sich trägt. Die Worte im letzten Satz sind absichtlich gewählt und führen uns nun wieder zu der Art von Bombe, von der Merz gesprochen bzw. die er sich als indirektes Zitat zu eigen gemacht hat, nämlich der „tickenden Zeitbombe“. Die Gleichsetzung von Menschen mit Bomben bedeutet: Diese Menschen sehen harmlos aus, sind es aber nicht. Sie können jederzeit „explodieren“ und Schaden anrichten. Schlimm genug, aber es kommt noch schlimmer: Denn die Menschen sind ja nicht „nur“ Bomben, sie sind Zeitbomben, und diese Zeitbomben ticken.
Man könnte – wäre man Merz sehr wohlgesonnen – sagen: Naja, Menschen sind Bomben, von außen sehen sie „harmlos“ aus, man weiß aber nicht, was in ihnen vorgeht. Gewissermaßen: Könnten wir nicht alle Bomben sein? Was ist daran so falsch?
Ganz einfach: Das hat Merz nicht gesagt. Erstens: Merz spricht ja eben nicht von „allen Menschen“, er nennt zuerst die „vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerber“ und dann unmittelbar in Zusammenhang mit diesen von „tickenden Zeitbomben“. Zweitens: Merz belässt es nicht bei dem Ausdruck „Bombe“, er spricht nicht von einem Kampfmittel, das irgendwo im Lager liegt und nicht mal scharfgestellt wurde, von dem man nicht weiß, ob davon irgendwann mal eine Gefahr ausgeht oder nicht, nein: Merz spricht von tickenden Zeitbomben. Diese Bomben sind scharfgestellt. Sie werden definitiv explodieren, und zwar, wenn „die eingestellte Zeit“, die hier nicht näher benannt wird, abgelaufen ist.
Es gibt Bomben, die scharfgestellt sind, aber erst eine Kraft von außen führt zur Explosion, wenn sie z. B. aus großer Höhe auf die Erde geworfen werden. Das ist bei Zeitbomben anders: Sie explodieren, ohne dass „von außen“ etwas Weiteres passieren muss. Es muss nur der Timer ablaufen. Und diese Zeitbomben, von denen Merz spricht, ticken schon. Der Timer läuft. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ALLE explodieren werden. Das und nichts anderes wird mit dem Ausdruck der „tickenden Zeitbomben“ gesagt.
Und offenbar, um im Bild zu bleiben, will er den Timer nicht deaktivieren, er will die ganzen Bomben wegschicken – damit sie woanders explodieren können.
Was heißt das alles?
Ich formuliere die oben zitierten Äußerungen von Friedrich Merz einmal um:
„Menschen, die ausreisepflichtig sind, sind eigentlich keine Menschen, sondern Sachen – es sind Bomben. Bomben, die uns irgendwann mit Sicherheit zerstören werden, denn sie sind bereits scharfgestellt. Wir müssen diese Bomben loswerden – Hauptsache, sie explodieren nicht bei uns.“
Wir alle müssen uns fragen, ob wir überhaupt so über Menschen reden wollen, über ganze Menschengruppen, ob wir umgekehrt diese Worte über uns selbst hören wollen würden – auf der ganz persönlichen Ebene, ohne dass der Mensch, der das sagt, uns überhaupt kennt.
Ich will jedenfalls nicht, dass jemand, der mich überhaupt nicht kennt, einfach so zur Sache macht, und zwar zu einer Sache, die in Zukunft mit Sicherheit Schaden anrichten wird.
Ausdrücke wie der von Friedrich Merz verwendete sind weit entfernt von einer sachlichen Auseinandersetzung.
Die Würde eines Menschen kann auch mit Worten „angetastet“ werden, um in der Formulierung des Grundgesetzes zu bleiben – und sie sollte es mit Worten ebenso wenig wie mit Taten.

