In der zweiten Hälfte des letzten Beitrags ging es bereits um das Wahlprogramm der CDU.
Hier schaue ich mir nun gebündelt die Programme weiterer Parteien an. Dass ich nicht für jede Partei einen separaten Beitrag erstelle, hat ausschließlich praktische Gründe – die Wahl steht vor der Tür und ich würde es vor der Wahl nicht mehr schaffen, mehrere Beiträge zu erstellen. Das ist also keine Wertung o.Ä. meinerseits. Ebenso ist die Auswahl der Parteien keinerlei Wertung meinerseits – ich schaue mir schlicht die Programme derjenigen Parteien an, die jetzt im Bundestag vertreten sind, einschließlich der Gruppen der Linken und des BSW.
SPD
Im Wahlprogramm der SPD wird das Thema „Wir wollen Frauen vor Gewalt schützen.“ vergleichsweise umfangreich abgehandelt (Zeilen 1747–1780). Der Abschnitt beginnt mit einer Definition von „Femizid“, dann heißt es (Z. 1749ff.):
„Es sind die zugrundeliegenden gesellschaftlichen und patriarchalen Strukturen, die diese Taten erst ermöglichen. Diese sind Ausdruck tiefer Menschenfeindlichkeit. Dagegen gehen wir präventiv wie repressiv mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vor.“
Damit geht die SPD weiter als die CDU oder genauer ein Stück zurück, denn hier werden (im Gegensatz zum Programm z.B. der CDU) zugrundeliegende Strukturen genannt, hier werden Ursachen für Gewalttaten benannt. So weit, so gut und richtig. Aber dann verheddert sich die SPD leider sprachlich: „Diese sind Ausdruck …“ – Ja welche denn? Die Strukturen oder die Taten? Leider kein klarer Bezug, das ist einfach ungenau. Unabhängig davon fällt mir aber noch auf: „Menschenfeindlichkeit“. Nö, denke ich. Es geht ja um Gewalt gegen Frauen, um Tötung von Frauen – woher kommt plötzlich der Einschluss anderer Geschlechter? Warum heißt es hier nicht „Frauenfeindlichkeit“? Und dann geht es weiter. „Dagegen gehen …“ Ja wogegen denn? Gegen die „Menschenfeindlichkeit“? Gegen die zuvor genannten „Taten“, also Femizide? Oder gegen die „zugrundeliegenden gesellschaftlichen und patriarchalen Strukturen“? Alles ist möglicher, jeder Bezug wäre – auf der sprachlichen Ebene – richtig.
Aber inhaltlich bestehen da große Unterschiede. Gegen „Menschfeindlichkeit“ vorzugehen, hat eher wenig mit geschlechtsspezifischer Gewalt zu tun, gegen die „patriarchalen Strukturen“ vorzugehen, wäre schon zielführender.
Je nach dem, was gemeint ist, können sich ja auch die Wege und Mittel gravierend unterscheiden. Die Wege und Mittel, die die SPD dann in ihrem Programm nennt, betreffen in erster Linie rechtliche Aspekte: Es sollen „Schutzlücken im Strafrecht“ (Z. 1752f.) geschlossen werden, „Wir stellen erhebliche sexuelle Belästigungen unter Strafe“ (Z. 1757), eine „Verschärfung des Gewaltschutzgesetzes“ (Z. 1761) wird angekündigt oder das Vorhaben, „dass geschlechtsspezifische Gewalt EU-weit als Straftatbestand festgeschrieben wird.“ (Z. 1766f.)
Im Programm der SPD wird auch die „vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention“ (Z. 1755) genannt – die Istanbul-Konvention wurde 2011 entworfen, sie wird aber bis heute nicht von allen EU-Staaten anerkannt, geschweige denn umgesetzt. Gut, dass sie immerhin hier erwähnt wird.
Das sind alles Schritte in die richtige Richtung, doch wo bleiben Maßnahmen jenseits der Gesetzgebung? Wo bleibt die aktive Förderung und Unterstützung von Frauen? Wo sind Maßnahmen, um auch schon in Kindergarten und Schule echte Gleichberechtigung zu fördern, ein Bewusstsein für Rollenbilder zu schaffen und den Sexismus im Alltag und im Berufsleben zu bekämpfen, umgekehrt Frauen in diesen Bereichen zu unterstützen?
Es ist gut, dass die sogenannte häusliche Gewalt, dass Femizide nun überhaupt ein Thema in einem Wahlprogramm sind, aber die Strukturen, die dem Verhalten, die Macht- und Gewaltverhältnissen zugrunde liegen, sind natürlich nicht auf Beziehungen, erst recht nicht auf Familie oder Partnerschaft begrenzt.
FDP
Die FDP widmet in ihrem Wahlprogramm einen Unterpunkt dem Thema „Liberale Politik für selbstbestimmte Frauen“ (S. 28) und stellt zunächst fest: „Frauen erfahren häufiger als Männer häusliche Gewalt und erleben Einschränkungen in ihrer sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung“ (ebd.).
Hmm. Da heißt es „häufiger“ – das könnte also auch bedeuten, es betrifft 100 Frauen und 99 Männer. Hier wäre es notwendig gewesen, die konkreten Zahlen zu nennen oder zumindest das – seit Jahren relativ konstante – Verhältnis von „gut 70 % Frauen zu knapp 30 % Männer“, die Gewalt erfahren, anzuführen. Das macht klar, wie es aussieht – da ist nicht nur mal eine Frau mehr betroffen.
Dann heißt es, Frauen „erleben Einschränkungen in ihrer sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung“ – warum beließ man es nicht bei „erfahren“ (was ja zuvor im Satz schon verwendet wurde? Der Unterschied: „erleben“ ist etwas Subjektives, es ist eine Erlebnisqualität – ich erlebe eine Person als sehr aggressiv, meine Freundin erlebt die Person als eher nervös. Das subjektive Erleben ist zwar sowohl für mich als auch meine Freundin richtig, es bleibt aber: subjektiv. Wenn ich als Frau Einschränkungen „erlebe“ – naja, dann war das ja objektiv vielleicht gar keine Einschränkung, ich nehme es halt nur so wahr.
Ob das hier gemeint war oder nicht: Die Wortwahl ist nicht passend, sie eröffnet ggf. die Sichtweise, dass bestimmte Einschränkungen ja nur von der Frau so empfunden werden und – ich gehe diesen Pfad mal weiter – sie einfach etwas empfindlich ist, sich mal nicht so anstellen soll, einfach nicht weiß, was gut und richtig ist.
Doch, das wissen Frauen. Ihnen wird nur noch immer durch solche Formulierungen eingetrichtert, dass sie es nicht wüssten.
Dann noch ein Abschnitt aus dem Wahlprogramm, in dem konkrete Maßnahmen genannt werden, mit denen häusliche Gewalt gegen Frauen bekämpft werden sollen:
„Zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt gegen Frauen möchten wir, dass Länder und Kommunen Frauenhausplätze bedarfsgerecht ausfinanzieren und dass durch eine bundesweite Online-Plattform verfügbare Frauenhausplätze in Echtzeit angezeigt werden.“ (ebd.)
Okay, ich formuliere mal um: Wir bekämpfen häusliche Gewalt gegen Frauen damit, dass eine Frau, die der Gewalt ihres (Ex-)Partners ausgesetzt ist, über eine App einen Platz im Frauenhaus suchen kann und dann – weil sie an der Ostseeküste lebt und aktuell nur in der Nähe von Stuttgart ein Frauenhausplatz frei ist – quer durch Deutschland fahren muss.
Es klingt nach Satire, aber es ist FDP.
Grüne
„Für Frauenrechte“ heißt der Abschnitt auf S. 51 des Wahlprogramms, in dem es dann zuerst heißt, man wolle „das Leben für Frauen gerechter und besser […] machen.“ Das klingt in meinen Ohren nicht so gut, wie es vielleicht gemeint war – ich will nicht „gerechter“, ich will „gerecht“ und auch nicht „besser“, sondern „gut“. Der Vergleich, der hier verwendet wird, hat im Text keinen konkreten Bezug – ich nehme an, der Bezugspunkt ist die aktuelle Situation von Frauen. Und dann ist „besser als jetzt“ vielleicht besser, aber eben nicht gut. Mir ist nicht klar, warum hier so zögerlich formuliert wird, warum nicht klar benannt wird, dass es für alle Menschen gerecht zugehen soll, unabhängig von z.B. Geschlecht. Dann wäre noch immer im Detail zu diskutieren, was „gerecht“ bedeutet, aber dennoch: Das wäre eine klare Aussage. Denn „besser als jetzt“ könnte – anders formuliert – heißen „nicht so schlecht wie jetzt“ oder wie ich mit meiner Ruhrgebiets-Sozialisation sagen würde: „weniger scheiße“.
Nun gut. Danach wird der Status quo hinsichtlich Gewalt gegen Frauen zusammengefasst: „Alle Frauen müssen sicher sein und sich sicher fühlen können. Im Alltag sind sie aber täglich von Frauenfeindlichkeit, Sexismus und Gewalt bedroht.“ Das ist teilweise richtig, denn mich stört hier ein wenig das Wort „bedroht“. Eine Drohung ist ja etwas, was vor einer Tat passiert. Während eine Drohung „da ist“, gibt es immer noch die Option, dass anschließend etwas passieren könnte oder auch nicht. Darum geht es aber nicht oder zumindest nicht nur, es geht ja eben um Taten. Es geht nicht darum, dass Sexismus und Frauenfeindlichkeit passieren KÖNNTEN, wenn ich mich als Frau im öffentlichen Raum bewege, es geht drum, dass es PASSIERT – auf vielen Ebenen, in verschiedener Ausprägung. Und ich ganz persönlich fühle mich auch weniger bedroht, eingeschüchtert, ängstlich als einfach nur genervt und angekotzt. Letzteres ist aber meine ganz subjektive Einschätzung und meine persönliche Sicht – wichtiger ist mir: Es sind keine Drohungen, es sind Taten und Realitäten.
Die weiteren Maßnahmen, die die Grünen in ihrem Programm darlegen, sind in Teilen deckungsgleich mit denen der SPD – im Vordergrund stehen auch bei den Grünen Maßnahmen NACH Gewalttaten, z.B. der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung, Stärkung von Frauenhäusern und anderen Schutzeinrichtungen sowie – und hier gibt es tatsächlich eine Überschneidung mit der CDU – der Einsatz der Fußfessel.
Wie an anderer Stelle schon gesagt: Das alles ändert leider nichts an den strukturellen Ursachen.
Linke
In dem Abschnitt „Geschlechtergerechtigkeit herstellen – Arbeit umverteilen“ (Z. 2001–2996) des Wahlprogramms werden zahlreiche Aspekte des Lebens angesprochen, in denen eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern hergestellt werden soll, z.B. Steuerpolitik (Z. 2019ff.), politische Parität (Z. 2023ff.), körperliche und reproduktive Selbstbestimmung (Z. 2026ff.).aber auch selbstständige Frauen werden angesprochen (Z. 2044ff.) – hier mit Blick auf eine Schwangerschaft, was für mich persönlich zwar nicht mehr relevant ist, aber dass überhaupt selbstständige Frauen ausdrücklich genannt werden, ist für mich neu und wichtig, da ich selbst seit 2003 Freiberuflerin bin – in verschiedenen Bereichen, manchmal angeblich auch gesellschaftlich super wichtig, aber immer völlig unterbezahlt und vor allem unterrepräsentiert.
Ab Z. 2053 wird dann Gewalt gegen Frauen thematisiert und dargelegt, welche Maßnahmen die Linke dagegen ergreifen möchte.
Ebenso wie die SPD nennt auch die Linke die Istanbul-Konvention und fordert deren vollständige Umsetzung. Im Gegensatz zu den anderen hier untersuchten Parteiprogrammen wird bei der Linken ein Schwerpunkt auf die Prävention gelegt: Es „muss die Koordinierungsstelle eingerichtet und eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung und Prävention von Gewalt gegen Frauen entwickelt werden“ (Z. 2055f.) und „Wir wollen alle neuen Gesetze auf ihre Auswirkung auf die Geschlechtergerechtigkeit untersuchen. Die Bundesregierung muss eine ressortübergreifende und langfristig angelegte Gleichstellungsstrategie verabschieden.“ (Z. 2064ff.). Dies sind Maßnahmen, die tatsächlich in die Richtung von „Ursachenbekämpfung“ gehen – das ist gut und wichtig.
Maßnahmen und Unterstützung, wenn bereits Gewalt auf Frauen ausgeübt wurde, fallen aber nicht ganz hinten runter, so wird u.a. auch eine bessere Ausstattung von Frauenhäusern sowie jederzeit verfügbarer, kostenloser Schutz und Beratung gefordert – in der Summe nimmt in diesem Programm aber die Ursachenbekämpfung, das Arbeiten an Strukturen, einen viel größeren Raum ein.
BSW
Das geht schnell: Im Kurzwahlprogramm taucht das Thema nicht auf. Es taucht nicht einmal das Wort „Frauen“ auf. Das ist auch ein Statement.
AfD
Warum wird diese Partei hier nicht ignoriert?
Vielleicht fragen sich manche, ob die AfD hier überhaupt auftauchen sollte – ebenso wie es ja eine Diskussion darüber gibt, ob die AfD überhaupt in den Nachrichten, in den Medien, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, auftauchen sollte.
Meine Position dazu in aller Kürze: Sie zu einem Nicht-Thema zu machen, hätte vielleicht noch in einer Zeit ohne Internet und Smartphones, ohne Messenger-Apps und KI-Accounts funktioniert. Es funktioniert m.E. heute nicht mehr, sprich: würde nicht dazu führen, dass weniger Leute AfD wählen, denn in der eigenen Bubble besteht die AfD ja weiter, und zwar massiv. Viele der Menschen, die die AfD wählen, fühlen sich nicht gehört und verstanden – das ist keine Mutmaßung im luftleeren Raum, sondern auch meine Erfahrung in zumindest einigen Regionen Deutschlands. Und ganz ehrlich: Auf der Ebene des „Nicht-gehört-Werdens“, auf dieser persönlichen Ebene, kann ich das auch durchaus nachvollziehen – die Konsequenzen, die vermeintlichen „Lösungen“ kann ich dann allerdings nicht nachvollziehen. Das ändert aber m.E. nichts daran, dass das Ignorieren dieser Menschen m.E. nur dazu führt, dass sie sich doppelt ignoriert und nicht gehört fühlen, dass sie wirklich nur noch in ihrer Bubble bleiben, in der durch die immer selben Narrative eine Welt im Kopf entsteht und gefestigt wird, an der es nicht nur nichts zu rütteln gibt, sondern die – fürchte ich – sogar zu noch stärkerer Radikalisierung führen kann.
Mit „der Welt im Kopf“ habe ich zu Beginn der Corona-Pandemie ganz eigene Erfahrungen gemacht und war – und das nach nur wenigen Tagen, in denen ich die Welt ausschließlich über Medien wahrgenommen habe – entsetzt darüber, wie wenig die reale Welt, als ich sie wieder direkt erfahren habe, mit der medialen Welt zu tun hatte. Und wer das jetzt nicht für „so schlimm“ hält, soll sich doch einfach noch mal „Pizzagate“ anschauen, was im Kern ausgelöst wurde durch eine medial beschriebene Welt, die nicht real war, aber von vielen Menschen dafür gehalten wurde – mit solcher Überzeugung, dass sie mit Waffen losgezogen sind.
Aus all den Gründen glaube ich, es ist sinnvoll, sich mit dem auseinanderzusetzen, was die AfD sagt und schreibt.
Das Wahlprogramm und das Thema „Gewalt gegen Frauen“
Damit zum Wahlprogramm der AfD – was steht darin zum Thema „Gewalt gegen Frauen“?
Die AfD schreibt erst mal sehr ausführlich über „Familie“, die übrigens ganz klar aus „Vater, Mutter und Kindern“ (S. 104) bestehe – außer frau ist AfD-Kanzlerkandidatin, dann geht auch Mutter, Mutter und Kinder. Das wurde in den letzten Wochen und Monaten oft thematisiert und problematisiert, ich habe dem nichts hinzuzufügen – offenbar stimmt das „Leitbild“ der AfD nicht, wenn es in der Realität auch andere Modelle gibt, deren Existenz die AfD ja gar nicht leugnet.
Man findet auf den folgenden Seiten wenig über Frauen, viel über Kinder – eigentlich nicht mein Thema an dieser Stelle, aber einen Aspekt muss ich doch aufgreifen, weil mir da der Kragen platzt: Die AfD kritisiert den Anstieg von Inobhutnahmen seit 1995 und vermutet dahinter eine „Industrie“, die „eines ständigen Nachschubs an Kindern bedarf“ (S. 109) brauche. Belge liefert sie dafür nicht, aber vor allem ignoriert sie einiges, nämlich Fälle wie den von Jessica oder Kevin, die eben nicht in Obhut genommen worden waren und dann elend in ihren „eigenen“ Familien gestorben sind. Ich weiß nicht, ob es einen Zusammenhang zwischen insgesamt gestiegenen Zahlen von Inobhutnahmen und diesen Fällen gibt (man könnte es vermuten, denn in einigen dieser Fälle war klar, dass das Kind aus der Familie hätte herausgeholt werden müssen und dann nicht gestorben wäre), aber in jedem Fall bin ich sehr dafür, Kinder zu schützen – gerade auch vor der eigenen Familie. Dass diese immer nur das Beste für ein Kind will und vor allem auch macht, ist auch heute noch ein weit verbreiteter Trugschluss – und durch Zahlen z.B. der Polizeilichen Kriminalstatistik belegt.
Zurück zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ – dazu gibt’s dann nichts im Programm. Die Überhöhung der „Familie“ scheint so weit zu gehen, dass darin Gewalt generell nicht möglich ist. Das hat mit der Realität nichts zu tun, das zeigen Erfahrungen und auch hier die Zahlen z.B. der Polizeilichen Kriminalstatistik.

